So einfach wie ein Kopfverband

Neulich mit Christiane im UKE getroffen. Wenn wir uns treffen, ist es meistens lustig, inklusive unfreiwilliger Komik, selbst im Universitätsklinikum Eppendorf.

Diesmal haben wir morgens unsere Kleiderschränke zufällig dergestalt bemüht, dass wir nun versehentlich als doppeltes Lottchen da stehen. Wohlgemerkt ein nicht mehr ganz taufrisches doppeltes Lottchen in cognacfarbenen Stiefeletten und kreisch-orange-roten Wollpullovern. Weit und breit kein anderer Mensch in derartiger Signalfarbe. Gut, kann man sich wenigstens nicht verfehlen, Eingangshalle ist schließlich groß.

Fest um die Stirn mit den Haaren zu Berge

Wir also nach entsprechendem Hallo los zu meiner Untersuchung. Entgegen allen Annahmen haben wir uns die Uniklinik nicht rein zum Kaffeeklatsch ausgesucht (nein, so weit treiben uns die seltenen Erkrankungen in unserem Leben noch nicht). Auch herrscht durchaus allgemeine Anspannung, weil ist doch irgendwie ein unschönes Ding, worum es in der Untersuchung geht. Und dann läuft uns plötzlich dieser Mann über den Weg! Er hat einen Kopfverband und sieht etwas mitgenommen aus. Was auch sonst? Im Krankenhaus + Kopfverletzung = mitgenommen.

Der Verband um des Herren Haupt wirkt allerdings wie bei Amazon bestellt. Shop-Artikel „Blutiger Kopfverband für Halloween“, würde ich sagen, nur ohne Blut. Jawohl, ohne Blut. So ein Tom-und-Jerry-Kopfverband. Trägt Tom, nachdem er unter eine Walze geraten ist, um noch in der gleichen Zeichentrick-Folge wieder hinter Jerry herzujagen. Bei dieser Art Verband ist die Mullbinde ein paar Mal fest um die Stirn gezurrt, und die Haare darüber stehen unweigerlich zu Berge. Mit genau so einem Verband hat Dieter Hoeneß 1982 noch das Pokalfinale entschieden – per Kopfballtor versteht sich. Wobei erwähnenswert ist, dass in seinem Fall doch eine ganze Menge Blut im Spiel war. So viel Blut würde man sich zu Halloween manchmal … ach, lassen wir das.

Christiane hat den wegkreuzenden Mini-Turban ebenso bemerkt. Er hat wohl den gleichen Weg, jedenfalls ist er plötzlich hinter uns, keine Ahnung, wie er das gemacht hat. Und während wir quasi im Pulk so durch die Gänge des UKE stiefeln, blicken wir beiden Mädels uns noch einmal unauffällig nach ihm um. Dann sehen wir uns an. Ich weiß, was Christiane denkt, und sie weiß, was ich denke.

Zeig mir Deine Schuhe, und ich sage Dir, was Du denkst!

Hinter uns läuft ein Klischee

Die Sache ist die: Jeder, der mit (s)einem seltenen Fall bereits durch gefühlt sämtliche Praxen, Ambulanzen und Kliniken des Landes gepilgert ist, hat zwangsläufig eine breite Palette der unterschiedlichsten Patienten gesichtet. Auch hat man selbst oder das Kind schon Bekanntschaft mit dem absurdesten Equipment gemacht. Aber wer hat an einer dieser Stellen tatsächlich je einen solch einfachen Kopfverband auf zwei Beinen rumlaufen sehen? Und zwar ausschließlich einen solchen?

Teddybären bekommen so einen Kopfverband, um als Leidensgenossen für kranke Kinder zu dienen. Ein Emoji bekommt so einen Kopfverband, damit sich per Fingertipp verkünden lässt: Bin irgendwie lädiert. In Film und Fernsehen bekommen ihn der durchgeknallte Bösewicht und der ausgemachte Trottel. Oder eben die Sportler. Aber im richtigen Leben? Das ist doch ein Klischee, das da hinter uns läuft!

Wir müssen uns das Lachen verbeißen, geht nicht anders. Bitte, bitte, lieber Herr aus dem Krankenhaus, entschuldigen Sie vielmals – und all jene, deren Kopf jemals so verbunden war oder noch ist, auch! Gute Besserung an alle Kopfverbandträger dieser Welt – ehrlich, wir wissen, dass hinter einem medizinisch umwickelten Kopf eine ganz üble Sache stecken kann. Bloß unsere Assoziationen sagen etwas anderes.

Sehnsucht bei seltener Erkrankung?

Vielleicht haben wir als Kind zu viel Onkel Doktor gespielt. Da war Kopfverband die Königsdisziplin. Vielleicht waren wir als Jugendliche zu oft enttäuscht, wenn nach der Klopperei nichts genäht wurde. Ein ordentliches Loch im Kopf wäre doch vorzeigbar gewesen, aber eine Rückkehr vom Arzt ohne wenigstens einen Kopfverband? Vielleicht wünschen wir uns sogar noch heute so ein einfaches Gebinde für knifflige Situationen: Mit einem Kopfverband erwartet niemand, dass Du eine intelligente Bemerkung machst.

Am Ende ist es doch so, dass besagter Kopfverband das objektgewordene Sinnbild ist für einen versehrten, aber kräftigen Körper, der mit entsprechender Pflege und nach gebührender Zeit wieder gesundet. Verband ab, Teddy wieder heil. Genau das gilt für uns chronisch Kranke höchst selten, löst aber manchmal eine kolossale, fast schon lächerliche Sehnsucht aus.

Wenn doch nur alles so einfach wäre wie ein Kopfverband! Das haben Christiane und ich im Gang gedacht. Wohl wissend, dass das überhaupt nicht zutreffen muss. Eher mit Galgenhumor als mit sonst irgendwas. Was aber ohne Frage auf jeden Fall zutrifft, ist: Wäre alles so einfach wie das wortlose Verstehen zwischen zwei kreisch-orange-roten Gleichgesinnten – die Welt wäre ein besserer Ort. Für die Welt der seltenen Erkrankungen gilt das im Besonderen. Wer da kein mentales Zwillings-Lottchen (-Lotterich?) hat, sucht sich am besten noch eins. Oder/und gesellt sich hier bei uns dazu.

Herzlich willkommen!

Liebe seltene Fälle, kommentiert uns zur Schnecke, falls Ihr Kopfverband wegen Eigenerfahrung weder einfach noch witzig finden könnt! Ansonsten: Was sind Eure Sinnbilder für vermeintlich einfache Probleme jenseits der seltenen Erkrankung bzw. Behinderung? Und wenn die manchmal Wehmut auslösen, würde uns interessieren, wie Ihr da (womöglich ohne Doppel-Lott-Partner!) wieder raus kommt? Herzlichst! Sandra

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3 comments

  1. Super! Ich finde es schreiend komisch und kann Euren Galgenhumor gut verstehen. Und manchmal muss man auch über Schlimmes oder in schlimmen Situtionen lachen dürfen. Gut, dass Ihr es zusammen könnt! Grüße von Julia

    1. Ah, eine Gleichgesinnte! Vielen Dank für Dein Feedback. Klingt, als wüsstest Du, wovon wir reden. Liebe Grüße zurück an Dich und die Menschen, mit denen Du Dir im ganz normalen Wahnsinn der Seltenen das Lachen bewahrst … Sandra

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