Ich renne seit Wochen mit einer immer größer werdenden Liste unter dem Arm durch die Gegend, hake einen Punkt ab und schreibe zwei neue dazu. Fühle mich wie früher beim Sportunterricht, 60 m Lauf: Hüpfer (so nannten wir ihn liebevoll, den Lehrer) steht mit seinem Klemmbrett und ner Trillerpfeife im Mund und ruft „weiter, weiter, weiter, ja, nein, fast, schade“.
Es ist, als ob ich vor unserer Abreise noch alles irgendwie „abhaken“ müsste. Auch die Dinge, die schon lange auf Erledigung warten. So zum Beispiel die Entscheidung, auf welche Schule unser Söhnchen nächstes Jahr gehen wird. Da kann man es sich natürlich jetzt nochmal richtig schwer machen und ALLE überhaupt nur im Geringsten in Frage kommenden Schulen intensiv unter die Lupe nehmen. Mit Schule meine ich Förderschule. Immerhin diese Entscheidung haben wir schon getroffen. Auch das war nicht leicht. Und wird noch mal einen Artikel an anderer Stelle wert sein.
Morgen dann noch so ein Termin: Zur Begutachtung, welcher Förderschwerpunkt bei unserem Sohn vorliegt. Ist allen klar. Aber ein nerviger Termin mit Testung des Kindes und Gespräch mit den Eltern muss trotzdem nochmal sein. Wat mutt, dat mutt. Mal abgesehen davon, dass nach so einem Termin der Tag – weil anders begonnen … (mehr dazu: hier) – eigentlich abgehakt werden kann, sprich: keine Kita, keine Beschäftigung, nur Mutters Rockzipfel.
Es ist halt alles irgendwie ein Angang mit einem speziellen Kind.
Als wir vor ein paar Wochen alle die letzte Impfung hinter uns gebracht hatten, dachte ich, zumindest die medizinische Vorbereitung auf die Reise sei damit abgeschlossen. War schon schwierig genug, herauszufinden, ob man unseren Knaben gegen alles impfen darf, was wir meinten, impfen lassen zu müssen. Vor allem wegen seiner Epilepsie. Konnte uns keiner richtig beantworten, und wir haben es dann einfach gemacht.
Wie wir übrigens Vieles einfach so machen, weil keiner konkrete Auskunft geben kann.
Dazu sind die Söhnchenmaleschen zu selten. Nach der letzten der 8 Spritzen hatte zumindest unser Blondie die Nase so gestrichen voll, dass sie eines Abends verkündete, sie würde jetzt nicht mehr nach Sri Lanka fahren wollen (unabhängig davon, dass sie keinen Schimmer hat, was das bedeutet). Mallorca wäre das bessere Reiseziel, da bekäme man wenigstens keine Spritzen. Recht hat sie.
Nach der erfolgreich absolvierten Impfgeschichte hatten wir leider wieder mal eine schlechte epileptische Phase. Das seltene Kindlein leidet, wie erwähnt, an einer bisher therapierefraktären Epilepsie, was bedeutet, dass nix gegen die Anfälle hilft. So hatte er 5, 6 Mal in der Woche einen epileptischen Anfall, auch wieder mit der oben beschriebenen Konsequenz, dass man den Tag danach vergessen kann. Das ist nicht gut. Gar nicht gut und hat uns in letzter Zeit ganz schön auf Trab gehalten. Nach wie vor steht im Raum, ob man nicht die Medikation verändern sollte, da auch die letzten Erhöhungen nicht der Bringer in Richtung Anfallsfreiheit waren.
Ein Koffer voller Medikamente.
Jetzt fahren wir also mit einem nicht gut eingestellten Kind und einem Koffer voller Medikamente und entsprechenden Bescheinigungen, dass wir auch berechtigt sind, diese mitzuführen, in die Ferien. Das man letzteres nicht zu seinem Vergnügen macht, dürfte klar sein, aber allein die Menge der Drogen könnte bei der Einreise zu der Annahme führen, wir würden Handel damit betreiben wollen.
Immerhin brauchen wir (noch) keinen Rollstuhl oder irgendwelche Beatmungsgeräte. Also relativ leichtes Gepäck. Vergleichsweise.
Aber es sind doch irgendwie Luxusprobleme. Bei Lichte betrachtet.
Wir müssen ja nicht verreisen. Also jetzt nicht stöhnen und nochmal rekapitulieren, warum wir diese Reise machen. Auch für mich zum Nachlesen, falls ich auf dem Löwenfelsen die Nerven verlieren sollte.
Darum diese Reise.
Da gibt es eigentlich gar nicht viel herumzurätseln, und es ist vermutlich wie bei jedem, der gern verreist. Das Bedürfnis nach neuen Erfahrungen, die Sehnsucht nach Exotik und Abenteuer sind im Allgemeinen die Gründe, die einen in die Ferne treiben. Das einzige, was bei uns vielleicht etwas anders ist, sind die Bedingungen, unter denen wir diese Reise angehen.
Aber darin genau liegt vielleicht eine weitere Motivation: Etwas trotzdem zu machen.
Wir haben keine Lust mehr, es NICHT zu machen.
Weil dies oder weil jenes vielleicht nicht geht oder schwieriger ist oder gar gefährlich. Wir brauchen Veränderung. Und wir brauchen Normalität. Wir brauchen das Gefühl, doch irgendwie alles machen können. Nur halt jetzt anders. Aber eben trotzdem.
Das werden wir uns jetzt nach 5 Jahren, nach der alles verändernden Diagnose, zurückerobern. Und mit den im nächsten Jahr anstehenden Veränderungen (mit all ihren neuen Verbindlichkeiten: Einschulung, neuer Job), ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür.
Außerdem mag ich Elefanten.